BFH-Rechtsprechung

Aktenzeichen Suchbegriff Datum der Entscheidung  

Beschluss vom 18. Februar 2021, III B 123/20

Kindergeld: Nordteil der Insel Zypern kein Mitgliedstaat i.S. des § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG

ECLI:DE:BFH:2021:B.180221.IIIB123.20.0

BFH III. Senat

EStG § 64 Abs 1 S 6, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, EStG VZ 2019 , EStG VZ 2020

vorgehend FG Münster, 24. August 2020, Az: 1 K 383/20 Kg

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 25.08.2020 - 1 K 383/20 Kg wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum Januar 2019 bis Januar 2020 für die im August 1997 geborene Tochter E.

  2. Im März 2019 stellte die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) einen Antrag auf Gewährung von Kindergeld für die im Nordteil von Zypern studierende Tochter. Mit Bescheid vom 10.07.2019 lehnte die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) den Antrag ab. Der Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 09.01.2020). Das Finanzgericht (FG) wies die anschließende Klage ab. Zur Begründung führte das FG aus, dass E im Streitzeitraum weder einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland noch einen im Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) gehabt habe.

  3. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision. Sie macht u.a. geltend, dass die Frage, ob auch das Territorium der Türkischen Republik (Nordzypern) ein EU-Mitgliedstaat i.S. des § 63 Abs. 1 Satz 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei, grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) habe und die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordere (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet und deshalb durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO).

  2. 1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

  3. a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Dabei muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sein (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 24.05.2012 - VI B 120/11, BFH/NV 2012, 1438, Rz 5). Eine Rechtsfrage ist klärungsbedürftig, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, sodass mehrere Lösungen vertretbar sind (BFH-Beschluss vom 11.11.2015 - VII B 57/15, BFH/NV 2016, 372, Rz 6). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne Weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 18.03.2010 - X B 124/09, BFH/NV 2010, 1278; Senatsbeschluss vom 30.06.2011 - III B 17/11, BFH/NV 2011, 1893, Rz 6).

  4. b) So liegt der Fall hier, soweit die Klägerin für grundsätzlich klärungsbedürftig hält, ob es sich bei dem nördlichen Teil der Republik Zypern um einen EU-Mitgliedstaat i.S. des § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG handelt.

  5. Das FG hat in nicht zu beanstandender Weise den Nordteil der Insel Zypern nicht als einen EU-Mitgliedstaat im Sinne dieser Vorschrift angesehen.

  6. Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG setzt der Kindergeldanspruch voraus, dass das Kind entweder im Inland oder in einem EU-Mitgliedstaat oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

  7. Schon aus dem Wortlaut "Mitgliedstaat" ergibt sich, dass der Beitritt des Staates zur EU vorausgesetzt wird und es entgegen der Ansicht der Klägerin nicht allein auf einen territorialen Aspekt ankommt. Die Akte über den Beitritt eines neuen Mitgliedstaats beruht im Wesentlichen auf dem allgemeinen Grundsatz der sofortigen und vollständigen Anwendung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts auf diesen Staat, wobei Abweichungen nur insoweit zulässig sind, als sie in Übergangsbestimmungen ausdrücklich vorgesehen sind (EuGH-Urteil vom 28.04.2009 - C-420/07, Europäische Grundrechte Zeitschrift 2009, 210 bis 216, Rz 33). Entscheidend für die Bestimmung als EU-Mitgliedstaat ist daher nicht allein, ob das Gebiet völkerrechtlich dem Gebiet der EU zugeordnet werden kann. Hinzukommen muss, dass auf diesem Gebiet auch das Recht der EU (acquis communautaire = gemeinsamer Besitzstand) gilt. Die Anwendung des EU-Rechts ist aber im Bereich der völkerrechtlich nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern durch das Protokoll Nr. 10 über Zypern der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäischen Union begründenden Verträge (Amtsblatt der Europäischen Union 2003, Nr. L 236, S. 955) suspendiert, solange die Regierung der Republik Zypern in diesem Gebiet keine tatsächliche Kontrolle ausübt. Dieses Protokoll zieht die Konsequenz daraus, dass es vor dem Beitritt Zyperns nicht mehr gelungen ist, eine politische Lösung für die geteilte Insel zu finden (BTDrucks 15/1100, S. 90). Der Besitzstand, der hier durch das Protokoll ausgesetzt ist, umfasst alle Rechtsakte, die für die Mitgliedstaaten der EU verbindlich sind. Faktisch trat daher nach dem Scheitern des Referendums zum Annan-Plan am 24.04.2004 der Nordteil der Insel (Türkische Republik Nordzypern) nicht der EU bei. Solange die Republik Zypern Hoheitsakte in Nordzypern und damit auch EU-Recht nicht durchsetzen kann, gilt der nördliche Teil der Insel Zyperns nicht als EU-Mitgliedstaat i.S. des § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG.

  8. 2. Da das Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) ein Unterfall des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung ist, kommt die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts aus denselben Gründen nicht in Frage (vgl. allgemein BFH-Beschlüsse vom 11.12.2014 - XI B 49/14, BFH/NV 2015, 363, Rz 12; vom 24.07.2017 - XI B 37/17, BFH/NV 2017, 1635, Rz 16).

  9. 3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

  10. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.



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