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Aktenzeichen Suchbegriff Datum der Entscheidung  

Urteil vom 01. September 2021, VI R 21/19

Zur Abgrenzung von Alt- und Neuzusagen bei Direktversicherungen zum Aufbau einer betrieblichen Altersversorgung

ECLI:DE:BFH:2021:U.010921.VIR21.19.0

BFH VI. Senat

EStG § 3 Nr 63, EStG § 52 Abs 4, EStG § 52 Abs 40, EStG § 40b Abs 1, EStG § 40b Abs 2, EStG VZ 2014

vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt , 10. April 2019, Az: 1 K 719/18

Leitsätze

1. Der Zeitpunkt, zu dem eine Versorgungszusage erstmalig erteilt wurde, bestimmt sich nach der zu einem Rechtsanspruch führenden arbeitsrechtlichen bzw. betriebsrentenrechtlichen Verpflichtungserklärung des Arbeitgebers (Anschluss an BMF-Schreiben vom 24.07.2013, BStBl I 2013, 1022, Rz 350).

2. Hat der Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers mehrere Direktversicherungen abgeschlossen, ist die Frage, ob diese auf verschiedenen Versorgungszusagen beruhen, unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Das Fehlen oder Vorliegen eines zusätzlichen biometrischen Risikos kann dabei lediglich als ein Indiz herangezogen werden. Es ist keine gesetzliche Voraussetzung für eine Neuzusage (entgegen BMF-Schreiben vom 24.07.2013, BStBl I 2013, 1022, Rz 355).

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 11.04.2019 - 1 K 719/18 aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Sachsen-Anhalt zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

  1. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war seit dem Jahr 1992 bei einem ... (Arbeitgeber) angestellt und erzielte aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Arbeitgeber hatte zugunsten des Klägers als versicherte Person im Rahmen der bei der A-Versicherung bestehenden Gruppenversicherung ab dem 01.01.1997 eine Direktversicherung (kapitalbildende Lebensversicherung) zur betrieblichen Altersvorsorge und eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abgeschlossen. Der Arbeitgeber versteuerte die Versicherungsbeiträge pauschal nach § 40b des Einkommensteuergesetzes in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung (EStG a.F.).

  2. Im Jahr 2013 kündigte der Arbeitgeber das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich. In dem anschließenden arbeitsgerichtlichen Verfahren schloss der Arbeitgeber mit dem Kläger im April 2014 vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) einen gerichtlichen Vergleich. Hiernach endete das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund der ordentlichen Kündigung von 2013 mit Ablauf des ...2014. Für den Verlust des Arbeitsplatzes erhielt der Kläger eine Abfindung in Höhe von ... € brutto. Der Arbeitgeber verpflichtete sich, bis zum 30.04.2014 einen Teilbetrag in Höhe von ... € brutto als einmalige Entgeltumwandlung nach der sog. Vervielfältigungsregelung gemäß § 3 Nr. 63 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr (2014) geltenden Fassung (EStG) in eine Direktversicherung bei der B-Versicherung einzuzahlen. Den verbleibenden Abfindungsbetrag von ... € brutto hatte der Arbeitgeber unter Abzug der Lohnsteuer mit der Entgeltabrechnung für April 2014 an den Kläger auszuzahlen.

  3. Der Kläger gab in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr die vom Arbeitgeber an die B-Versicherung geleistete Zahlung nicht an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) veranlagte den Kläger insoweit erklärungsgemäß.

  4. Im Rahmen einer bei dem Arbeitgeber durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat die Prüferin die Auffassung, die Zahlung an die B-Versicherung sei nicht nach der Vervielfältigungsregelung in § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG steuerfrei. Die Anwendung dieser Vorschrift sei nicht möglich, wenn der Arbeitnehmer bei Beiträgen zu einer Direktversicherung auf die Steuerfreiheit der Beiträge zugunsten der weiteren Anwendung des § 40b EStG a.F. verzichtet habe. So verhalte es sich im vorliegenden Fall. Denn die Beiträge an die A-Versicherung (Altvertrag) seien unter Verzicht auf die Steuerfreiheit nach § 40b EStG a.F. pauschal versteuert worden. Die Entgeltumwandlung habe daher nur in Höhe von ... € gemäß § 3 Nr. 63 Satz 1 EStG steuerfrei vorgenommen werden können. Die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit seien dementsprechend um ... €, die als Abfindung der ermäßigten Besteuerung unterlägen, zu erhöhen.

  5. Das FA folgte der Auffassung der Prüferin und erließ einen entsprechenden, gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr.

  6. Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 1370 veröffentlichten Gründen ab.

  7. Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

  8. Er beantragt,
    das Urteil des FG, den Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 02.02.2018 und die Einspruchsentscheidung vom 02.07.2018 aufzuheben.

  9. Das FA beantragt,
    die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision des Klägers ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der nicht entscheidungsreifen Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Mit der von der Vorinstanz gegebenen Begründung kann die Steuerfreiheit der streitigen Beitragszahlung des Arbeitgebers des Klägers nicht verneint werden. Der Senat kann mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen allerdings nicht selbst entscheiden, ob das FA in dem angefochtenen Änderungsbescheid zu Recht davon ausgegangen ist, der Arbeitgeber habe den Beitrag an die B-Versicherung nicht gemäß § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG steuerfrei leisten können. Die Sache muss daher an das FG zurückverwiesen werden.

  2. 1. a) Gemäß § 3 Nr. 63 Satz 1 EStG steuerfrei sind Beiträge des Arbeitgebers aus dem ersten Dienstverhältnis an einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder für eine Direktversicherung zum Aufbau einer kapitalgedeckten betrieblichen Altersversorgung, bei der eine Auszahlung der zugesagten Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgungsleistungen in Form einer Rente oder eines Auszahlungsplans (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes vom 26.06.2001, BGBl I 2001, 1310, 1322, das zuletzt durch Art. 7 des Gesetzes vom 05.07.2004, BGBl I 2004, 1427 geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung) vorgesehen ist, soweit die Beiträge im Kalenderjahr 4 % der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung nicht übersteigen. Dies gilt nach § 3 Nr. 63 Satz 2 EStG nicht, soweit der Arbeitnehmer nach § 1a Abs. 3 des Betriebsrentengesetzes verlangt hat, dass die Voraussetzungen für eine Förderung nach § 10a EStG oder Abschn. XI erfüllt werden. Der Höchstbetrag nach § 3 Nr. 63 Satz 1 EStG erhöht sich um 1.800 €, wenn die Beiträge i.S. des Satzes 1 aufgrund einer Versorgungszusage geleistet werden, die nach dem 31.12.2004 erteilt wurde. Aus Anlass der Beendigung des Dienstverhältnisses geleistete Beiträge i.S. des Satzes 1 sind gemäß § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG steuerfrei, soweit sie 1.800 € vervielfältigt mit der Anzahl der Kalenderjahre, in denen das Dienstverhältnis des Arbeitnehmers zu dem Arbeitgeber bestanden hat, nicht übersteigen; der vervielfältigte Betrag vermindert sich um die nach den Sätzen 1 und 3 steuerfreien Beiträge, die der Arbeitgeber in dem Kalenderjahr, in dem das Dienstverhältnis beendet wird, und in den sechs vorangegangenen Kalenderjahren erbracht hat; Kalenderjahre vor 2005 sind dabei jeweils nicht zu berücksichtigen.

  3. Nach § 52 Abs. 4 Satz 10 EStG ist § 3 Nr. 63 EStG bei Beiträgen für eine Direktversicherung nicht anzuwenden, wenn die entsprechende Versorgungszusage vor dem 01.01.2005 erteilt wurde und der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber für diese Beiträge auf die Anwendung des § 3 Nr. 63 EStG verzichtet hat. Der Verzicht gilt für die Dauer des Dienstverhältnisses; er ist bis zum 30.06.2005 oder bei einem späteren Arbeitgeberwechsel bis zur ersten Beitragsleistung zu erklären (§ 52 Abs. 4 Satz 11 EStG). § 3 Nr. 63 Satz 3 und Satz 4 EStG ist nicht anzuwenden, wenn § 40b Abs. 1 und Abs. 2 EStG in der am 31.12.2004 geltenden Fassung angewendet wird (§ 52 Abs. 4 Satz 12 EStG).

  4. Gemäß § 52 Abs. 40 Satz 1 EStG ist § 40b Abs. 1 und Abs. 2 EStG in der am 31.12.2004 geltenden Fassung weiter anzuwenden auf Beiträge für eine Direktversicherung des Arbeitnehmers und Zuwendungen an eine Pensionskasse, die aufgrund einer Versorgungszusage geleistet werden, die vor dem 01.01.2005 erteilt wurde. Sofern die Beiträge für eine Direktversicherung die Voraussetzungen des § 3 Nr. 63 EStG erfüllen, gilt dies nur, wenn der Arbeitnehmer nach § 52 Abs. 4 EStG gegenüber dem Arbeitgeber für diese Beiträge auf die Anwendung des § 3 Nr. 63 EStG verzichtet hat (§ 52 Abs. 40 Satz 2 EStG).

  5. b) Nach § 40b Abs. 1 EStG a.F. konnte der Arbeitgeber die Lohnsteuer von den Beiträgen für eine Direktversicherung des Arbeitnehmers und von den Zuwendungen an eine Pensionskasse mit einem Pauschsteuersatz von 20 % der Beiträge und Zuwendungen erheben. Die pauschale Erhebung der Lohnsteuer von Beiträgen für eine Direktversicherung war nur zulässig, wenn die Versicherung nicht auf den Erlebensfall eines früheren als des 60. Lebensjahres abgeschlossen und eine vorzeitige Kündigung des Versicherungsvertrags durch den Arbeitnehmer ausgeschlossen worden war.

  6. § 40b Abs. 1 EStG a.F. galt nach Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift nicht, soweit die zu besteuernden Beiträge und Zuwendungen des Arbeitgebers für den Arbeitnehmer 1.752 € im Kalenderjahr überstiegen oder nicht aus seinem ersten Dienstverhältnis bezogen wurden. Waren mehrere Arbeitnehmer gemeinsam in einem Direktversicherungsvertrag oder in einer Pensionskasse versichert, so galt als Beitrag oder Zuwendung für den einzelnen Arbeitnehmer der Teilbetrag, der sich bei einer Aufteilung der gesamten Beiträge oder der gesamten Zuwendungen durch die Zahl der begünstigten Arbeitnehmer ergab, wenn dieser Teilbetrag 1.752 € nicht überstieg; hierbei waren Arbeitnehmer, für die Beiträge und Zuwendungen von mehr als 2.148 € im Kalenderjahr geleistet wurden, nicht einzubeziehen (§ 40b Abs. 2 Satz 2 EStG a.F.). Für Beiträge und Zuwendungen, die der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer aus Anlass der Beendigung des Dienstverhältnisses erbracht hatte, vervielfältigte sich der Betrag von 1.752 € nach § 40b Abs. 2 Satz 3 EStG a.F. mit der Anzahl der Kalenderjahre, in denen das Dienstverhältnis des Arbeitnehmers zu dem Arbeitgeber bestanden hatte; in diesem Fall war § 40b Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. nicht anzuwenden. Der vervielfältigte Betrag verminderte sich um die nach § 40b Abs. 1 EStG a.F. pauschal besteuerten Beiträge und Zuwendungen, die der Arbeitgeber in dem Kalenderjahr, in dem das Dienstverhältnis beendet wurde, und in den sechs vorangegangenen Kalenderjahren erbracht hatte.

  7. 2. Nach Maßgabe dieser Bestimmungen hat das FG zu Unrecht entschieden, der Kläger könne die Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG nach § 52 Abs. 4 Sätze 10 und 12 sowie Abs. 40 EStG nicht in Anspruch nehmen.

  8. a) Ab dem Jahr 2005 wurde durch das Alterseinkünftegesetz auch der Durchführungsweg der Direktversicherung in die steuerliche Förderung nach § 3 Nr. 63 EStG einbezogen. Für ab 2005 erteilte Direktversicherungszusagen (Neuzusagen) entfiel gleichzeitig die Möglichkeit der Pauschalbesteuerung nach § 40b EStG a.F. (s. § 52 Abs. 40 EStG).

  9. Für die Anwendung von § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG sowie § 40b Abs. 1 und Abs. 2 EStG a.F. kommt es folglich darauf an, ob die entsprechenden Beiträge aufgrund einer Versorgungszusage geleistet werden, die vor dem 01.01.2005 (Altzusage) oder nach dem 31.12.2004 (Neuzusage) erteilt wurde (§ 52 Abs. 4 Satz 10 EStG).

  10. b) Zur Beantwortung der Frage, zu welchem Zeitpunkt eine Versorgungszusage erstmalig erteilt wurde, ist grundsätzlich die zu einem Rechtsanspruch führende arbeitsrechtliche bzw. betriebsrentenrechtliche Verpflichtungserklärung des Arbeitgebers maßgebend; diese kann z.B. in einem Einzelvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder durch Tarifvertrag abgegeben werden (ebenso Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen ‑‑BMF‑‑ vom 24.07.2013, BStBl I 2013, 1022, Rz 350).

  11. Hiernach ist im vorliegenden Fall eine Neuzusage gegeben. Denn der Arbeitgeber des Klägers hat sich nach den tatsächlichen, den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen der Vorinstanz erstmals in dem gerichtlich protokollierten Vergleich im April 2014 vor dem LAG verpflichtet, im Rahmen der Entgeltumwandlung eine Versorgung zugunsten des Klägers durch eine Direktversicherung bei der B-Versicherung zuzusagen. Die vorgenannte Verpflichtungserklärung stellt sich auch unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Versorgung nicht als bloße Änderung der seit 1997 bestehenden Versorgungszusage dar.

  12. c) Die Finanzverwaltung hat in dem BMF-Schreiben in BStBl I 2013, 1022 (Rz 351) verschiedene Beispiele aufgeführt, bei denen ihrer Ansicht nach "bei ansonsten unveränderter Versorgungszusage" keine Neuzusage gegeben ist.

  13. Im Streitfall basiert die Direktversicherung des Arbeitgebers bei der B-Versicherung nicht auf der ursprünglichen (Alt-)Versorgungszusage gegenüber dem Kläger. Die Direktversicherung bei der B-Versicherung hat ihren Rechtsgrund vielmehr ausschließlich in der im gerichtlichen Vergleich protokollierten (Neu-)Zusage, welche zu der Versorgungszusage, die der Direktversicherung bei der A-Versicherung zu Grunde lag, hinzugetreten ist. Sie beruhte mithin auf einem neuen Verpflichtungsgrund, der mit der bestehenden (Alt-)Versorgungszusage in keinem Zusammenhang stand. Die Versorgungszusage aus dem Vergleich nahm keinerlei (Rück-)Bezug auf die in der Vergangenheit erklärte Versorgungszusage (näher unter e). Dementsprechend ist vorliegend auch keiner der in dem BMF-Schreiben in BStBl I 2013, 1022 (Rz 351) genannten Beispielsfälle erfüllt.

  14. d) Soweit nach Auffassung der Finanzverwaltung auch dann insgesamt von einer (einheitlichen) Versorgungszusage auszugehen sein soll, wenn neben einem "alten" Direktversicherungsvertrag (Abschluss vor 2005) ein "neuer" Direktversicherungsvertrag (Abschluss nach 2004) eingegangen und die bisher erteilte Versorgungszusage nicht um zusätzliche biometrische Risiken erweitert wird, selbst wenn der "neue" Direktversicherungsvertrag bei einer anderen Versicherungsgesellschaft abgeschlossen wird (BMF-Schreiben in BStBl I 2013, 1022, Rz 355), vermag sich der Senat dem jedenfalls für den im Streitfall gegebenen Sachverhalt nicht anzuschließen.

  15. Zwar kann es durchaus Fälle geben, in denen eine neue Direktversicherung auch gegenüber einer anderen Versicherungsgesellschaft zusammen mit einer vor 2005 abgeschlossenen Direktversicherung auf der bisherigen Versorgungszusage (sog. Altzusage) beruht (s. dazu auch Schrehardt, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2013, 2489, 2493). Das Fehlen eines zusätzlichen biometrischen Risikos bei der neuen Direktversicherung kann insoweit (indiziell) dafür sprechen, dass diese auch aufgrund der Altzusage abgeschlossen worden ist.

  16. Es ist andererseits aber nicht gerechtfertigt, das Vorliegen einer Neuzusage zwingend von der Versicherung eines zusätzlichen biometrischen Risikos abhängig zu machen (kritisch insoweit auch Veh, DStR 2020, 1101, 1103 f.). Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist die Versicherung eines zusätzlichen biometrischen Risikos jedenfalls keine Voraussetzung einer Neuzusage. Ein solches Erfordernis ergibt sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte, der Systematik oder dem Zweck des Gesetzes. Entscheidend ist vielmehr, zu welchen Zeitpunkt die maßgebliche Versorgungszusage, auf der die jeweilige Direktversicherung beruht, erteilt wurde.

  17. Liegen ‑‑wie im Streitfall‑‑ zwei verschiedene Direktversicherungen vor, ist daher zu prüfen, ob diese auf einer Versorgungszusage oder auf verschiedenen Versorgungszusagen beruhen. Diese Frage ist unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Das Fehlen oder das Vorliegen eines zusätzlichen biometrischen Risikos kann dabei zwar ein Indiz sein, eine gesetzliche Voraussetzung für das Vorliegen einer weiteren, selbständigen Versorgungszusage ist es aber nicht.

  18. e) Im Streitfall ist hiernach hinsichtlich der bei der B-Versicherung abgeschlossenen Direktversicherung davon auszugehen, dass diese auf einer selbständigen, neuen Versorgungszusage beruht, die nach dem 31.12.2004 erteilt wurde. Der Arbeitgeber des Klägers erteilte diese Zusage ‑‑wie oben dargelegt‑‑ im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs im April 2014. Sie beruhte nach dem vom FG bindend festgestellten Sachverhalt nicht auf vorherigen arbeitsvertraglichen Absprachen oder Wahloptionen des Klägers im Zusammenhang mit der zuvor erteilten Versorgungszusage. Die Zusage führte auf Seiten des Arbeitgebers zu einer zwar einmaligen, dafür aber erheblichen Beitragserhöhung. Zugunsten des Klägers wurden aufgrund der Zusage und der entsprechenden Beitragsleistung des Arbeitgebers gänzlich neue Versorgungsansprüche begründet. Bei dieser Sachlage scheidet trotz des Fehlens eines neuen biometrischen Risikos das Vorliegen einer Altzusage aus.

  19. f) Der Anwendbarkeit des § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG auf die im Streitfall hiernach vorliegende Neuzusage steht auch der Umstand nicht entgegen, dass der Arbeitgeber zugunsten des Klägers bereits zuvor eine Altzusage erteilt und die Beiträge zu dieser Altzusage nach § 40b EStG a.F. pauschal versteuert hatte. Zwar ist § 3 Nr. 63 Satz 3 und Satz 4 EStG gemäß § 52 Abs. 4 Satz 12 EStG nicht anzuwenden, wenn § 40b Abs. 1 und Abs. 2 EStG in der am 31.12.2004 geltenden Fassung angewendet wird. Hinsichtlich der Neuzusage des Arbeitgebers, für die der Kläger die Vervielfältigungsregelung des § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG vorliegend in Anspruch nehmen möchte, scheidet die Weiteranwendung des § 40b EStG a.F. aber von vornherein aus. § 52 Abs. 4 Satz 12 EStG hindert die Anwendung des § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG im Streitfall folglich nicht. Auch die Finanzverwaltung geht im Übrigen zutreffend davon aus, dass es aus steuerlicher Sicht möglich ist, mehrere Versorgungszusagen nebeneinander, also neben einer Altzusage auch eine Neuzusage, zu erteilen (BMF-Schreiben in BStBl I 2013, 1022, Rz 355).

  20. 3. Das FG hat ‑‑von seinem Standpunkt aus zu Recht‑‑ nicht weiter geprüft, ob die sachlichen Voraussetzungen der Steuerfreiheit hinsichtlich der streitigen Beitragszahlung nach § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG vorliegen. Dies wird es im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.

  21. 4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

Quelle: https://www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202110242/



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