BFH-Rechtsprechung

Aktenzeichen Suchbegriff Datum der Entscheidung  

Urteil vom 07. November 2023, VIII R 30/19

Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteilen vom 07.11.2023 VIII R 7/21 und VIII R 16/22 - Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags

ECLI:DE:BFH:2023:U.071123.VIIIR30.19.0

BFH VIII. Senat

EStG § 20 Abs 1 Nr 7, EStG § 22 Nr 3, BGB § 346, BGB § 348, BGB § 357b, AO § 38, EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 5, EStG § 2 Abs 1 S 1 Nr 7, EStG VZ 2017

vorgehend FG Köln, 14. August 2019, Az: 14 K 719/19

Leitsätze

1. NV: Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf (vor Anwendbarkeit des § 357a Abs. 3 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ‑‑BGB‑‑ a.F.; jetzt § 357b BGB) begründet keinen steuerbaren Kapitalertrag, da er nicht auf einer erwerbsgerichteten Tätigkeit beruht und mithin nicht innerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre angefallen ist.

2. NV: Das infolge des Widerrufs entstandene Rückgewährschuldverhältnis ist bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln.

3. NV: Der bezogene Nutzungsersatz ist auch nicht gemäß § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes steuerbar.

Tenor

Auf die Revision der Kläger werden das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 14.08.2019 - 14 K 719/19 und die Einspruchsentscheidung vom 15.02.2019 aufgehoben.

Der Einkommensteuerbescheid 2017 vom 04.07.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.02.2019 wird dahingehend geändert, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes ein Betrag in Höhe von 4.225 € ‑‑zu 2.113 € beim Kläger und zu 2.112 € bei der Klägerin‑‑ nicht bei den laufenden Kapitalerträgen angesetzt wird.

Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten aufgegeben.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei der von einer Bank aufgrund widerrufener Darlehensverträge gezahlten Nutzungsentschädigung für bereits erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen um steuerbare Einkünfte handelt.

  2. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden im Jahr 2017 (Streitjahr) als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie schlossen am ...2004 mit der X-Bank Darlehensverträge über einen Betrag von insgesamt 216.250 € zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab.

  3. Die X-Bank zahlte die Darlehen aus. Die Kläger führten eines der Teildarlehen durch jährliche Tilgungen bis zum 30.03.2011 zurück und lösten die übrigen Teildarlehen zum Ende der vorgesehenen Zinsbindungsdauer am 30.06.2014 gegen Zahlung der Restvaluta in Höhe von 195.192,65 € ab. Mit Schreiben vom 09.01.2017 widerriefen die Kläger unter Verweis auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung ihre auf den Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen. Sie machten gegenüber der X-Bank einen von ihnen errechneten Betrag in Höhe von 23.522,75 € als zu leistenden Nutzungsersatz für die von ihnen erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen geltend.

  4. Außergerichtlich einigten sich die Kläger und die X-Bank wie folgt:

    "2. (...) Die [X-]Bank verpflichtet sich, unverzüglich nach Abschluss dieser Vergleichsvereinbarung einen Betrag in Höhe von 4.225,00 EUR an den Darlehensnehmer auf ein noch anzugebendes Konto des Darlehensnehmers zu zahlen. Dieser Betrag kann ganz oder teilweise der Kapitalertragsteuer unterliegen.

    3. Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit Abschluss dieser Vereinbarung und der gegenseitigen Erfüllung sämtliche Ansprüche aus dieser Darlehensangelegenheit erledigt sind. Die Parteien sind sich auch darüber einig, dass mit Abschluss dieser Vereinbarung sämtliche Ansprüche im Zusammenhang mit dem von den Darlehensnehmern erklärten Widerruf und/oder beabsichtigten Widerruf ‑‑egal ob bekannt oder unbekannt‑‑ erledigt sind. Die Darlehensnehmer verzichten ausdrücklich auf einen etwaigen Rückabwicklungsanspruch.

    4. Kosten auf Seiten des Darlehensnehmers einschließlich etwaiger Anwaltskosten trägt dieser selbst."

  5. Die X-Bank führte den in der von ihr erteilten Steuerbescheinigung angegebenen Betrag der Kapitalertragsteuer in Höhe von 777,50 € nebst Solidaritätszuschlag in Höhe von 42,76 € ab und zahlte den Klägern den verbleibenden Differenzbetrag aus.

  6. Die Kläger gaben in ihren Anlagen KAP zur Einkommensteuererklärung für 2017 den Betrag in Höhe von 4.225 € anteilig bei der Klägerin und beim Kläger an, vertraten aber die Ansicht, dass insoweit zu Unrecht Kapitalertragsteuer einbehalten worden sei. Sie beantragten jeweils für sämtliche Kapitalerträge die Überprüfung des Steuereinbehalts gemäß § 32d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung (EStG). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) folgte dem nicht und berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 04.07.2018 den streitigen Betrag (Einnahmen des Klägers 2.113 €; Einnahmen der Klägerin 2.112 €) neben weiteren nicht streitigen Kapitalerträgen als Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 EStG, wobei es beim Kläger und der Klägerin jeweils den Sparer-Pauschbetrag in Höhe von 801 € abzog.

  7. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 101 mitgeteilten Gründen nur teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass ein Betrag in Höhe von 2.535 € (60 % des Vergleichsbetrags) gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu besteuern sei; insoweit entfalle der Vergleichsbetrag auf Ansprüche der Kläger gegen die darlehensgebende X-Bank auf Nutzungsersatz für erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen. Hingegen sei ein Betrag in Höhe von 1.690 € (40 % des Vergleichsbetrags) nicht steuerbar, da dieser Betrag auf Ansprüche der Kläger gegen die X-Bank auf Rückzahlung überhöhter Zinsen entfalle. Das FG gelangte zu dieser Aufteilung der Vergleichssumme im Wege einer eigenen Schätzung. Es stellte hierzu sämtliche von den Klägern auf Grundlage der Vergleichsverhandlungen mit der X-Bank für den Fall der (hypothetischen) Rückabwicklung der Darlehensverträge ermittelten wechselseitigen Zahlungspflichten gegenüber und ermittelte hieraus im Saldo einen höheren Rückzahlungsanspruch der Kläger. Diesen Betrag verteilte es auf den Nutzungsersatzanspruch der Kläger gegen die X-Bank und auf einen Anspruch der Kläger auf die Rückzahlung zu hoher Zinsen gegen die X-Bank. Das Verhältnis der beiden Ansprüche zueinander von 60 % Nutzungsersatz zu 40 % Zinsrückgewähr wandte das FG auf den Vergleichsbetrag von 4.225 € an.

  8. Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Bundesrechts.

  9. Die Kläger beantragen sinngemäß,
    das Urteil des FG Köln vom 14.08.2019 - 14 K 719/19 und die Einspruchsentscheidung vom 15.02.2019 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2017 vom 04.07.2018 dahingehend zu ändern, dass ein Betrag in Höhe von 4.225 € ‑‑zu 2.113 € beim Kläger und zu 2.112 € bei der Klägerin‑‑ als nicht steuerbar behandelt wird.

  10. Das FA beantragt,
    die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Der im Rahmen der Rückabwicklung der Darlehensverträge von der X-Bank an die Kläger geleistete Nutzungsersatz in Höhe von 2.535 € ist kein steuerbarer Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (unter II.1.). Die Rückabwicklung der Darlehensverträge führt bei den Klägern auch nicht zu Einkünften aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG, sodass sich die Vorentscheidung auch nicht gemäß § 126 Abs. 4 FGO im Ergebnis als richtig darstellt (unter II.2.). Die Sache ist spruchreif (unter II.3.). Der Senat gibt der Klage wie beantragt statt.

  2. 1. Die Entscheidung des FG, dass der im Rahmen der Rückabwicklung der Darlehensverträge von der X-Bank an die Kläger geleistete Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 2.535 € zu einem Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG führt, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Nutzungsersatz ist nicht steuerbar. Er beruht nicht auf einer erwerbsgerichteten Tätigkeit der Kläger und ist mithin nicht innerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre angefallen.

  3. a) Im Streitfall hat das FG den zwischen den Klägern und der X-Bank geschlossenen Vergleich dahingehend ausgelegt, dass in ihm ausschließlich die wechselseitigen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens erledigt werden sollten und die an die Kläger geleistete Vergleichssumme in Höhe von 2.535 € als Nutzungsersatz der Kläger und in Höhe von 1.690 € als Rückgewähr von geleisteten Zinszahlungen anzusehen ist. Dagegen sind keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben worden. Die Auslegung des FG verstößt auch nicht gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze oder Denk- und Erfahrungssätze und ist daher für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 09.10.2001 - VIII B 30/01, BFH/NV 2002, 191, m.w.N.; vom 05.12.2006 - VIII B 4/06, BFH/NV 2007, 490, unter 2.c [Rz 10]).

  4. b) Der von den Klägern vereinnahmte Nutzungsersatz in Höhe von 2.535 € ist nicht steuerbar. Im Streitfall ist die Rückabwicklung der Darlehensverträge nach den in den Urteilen des Senats vom 07.11.2023 - VIII R 7/21 und VIII R 16/22 (jeweils zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen) dargelegten Maßstäben keine steuerbare erwerbsgerichtete Tätigkeit. Das Rückgewährschuldverhältnis ist bei wirtschaftlicher Betrachtung ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rückabwicklung einvernehmlich, durch Vergleich, durch zivilgerichtliches Urteil oder auf andere Weise vollzogen wird und ob die Parteien des ursprünglichen Darlehensvertrags ‑‑wie im Streitfall‑‑ anstelle der Leistung von Wertersatz an die Bank auf eine Rückabwicklung der vom Darlehensnehmer geleisteten Zinsen verzichten. Die Kläger und die X-Bank haben im Rahmen ihrer vergleichsweisen Einigung über die Rückabwicklung der Darlehensverträge hinaus auch keine weiteren Vereinbarungen getroffen, die zu steuerbaren Kapitalerträgen führen könnten.

  5. 2. Die Entscheidung des FG stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO). Der von der X-Bank geleistete Nutzungsersatz ist nicht nach der allein in Betracht kommenden Regelung zu den Einkünften aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG steuerbar, da es sich bei der Rückabwicklung der Darlehensverträge nicht um einen Leistungsaustausch innerhalb der Erwerbssphäre handelt. Wegen der weiteren Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auch insoweit auf seine Urteile in den Verfahren vom 07.11.2023 - VIII R 7/21 und VIII R 16/22 (jeweils zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen) Bezug.

  6. 3. Das FG ist von anderen Rechtsgrundlagen ausgegangen. Sein Urteil ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Senat gibt der Klage statt. Der von der X-Bank an die Kläger geleistete Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 2.535 € ist kein steuerbarer Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG und keine steuerbare Leistung im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG. Auch die Rückgewähr der geleisteten Zinszahlungen in Höhe von 1.690 € führte nicht zu steuerbaren Einnahmen bei den Klägern, denn die Rückzahlung von Aufwendungen, die außerhalb der Erwerbssphäre angefallen sind, ist ihrerseits nicht durch die Einkünfteerzielung veranlasst (vgl. BFH-Urteile vom 29.09.2022 - VI R 34/20, BFHE 278, 319, BStBl II 2023, 142; vom 19.07.2022 - IX R 18/20, BFHE 278, 85, BStBl II 2023, 173; Schmidt/Krüger, EStG, 42. Aufl., § 9 Rz 112, 113). Letzteres ist hier der Fall, da der Zweck der ursprünglichen Darlehensaufnahme in der Finanzierung einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Immobilie der Kläger bestand und die Zinszahlungen dementsprechend gemäß § 12 Nr. 1 EStG nicht steuermindernd zu berücksichtigen waren. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 04.07.2018 ist wie beantragt dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 EStG ein Betrag in Höhe von 4.225 € ‑‑zu 2.113 € beim Kläger und zu 2.112 € bei der Klägerin‑‑ nicht bei den laufenden Kapitalerträgen angesetzt wird.

  7. 4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.



Zurück zur Übersicht


Seitenanfang